Wenn wir uns eine Meinung bilden wollen, sind wir auf verlässliche Informationen angewiesen. Das ist im privaten Bereich nicht anders als im öffentlichen. Während im privaten Raum meine Möglichkeiten noch relativ groß sind, Informationen und Gerüchte über einen Menschen oder über ein Geschehen zu überprüfen und eventuell als bösartige oder interessengeleitete Manipulation zu entlarven, bin ich im politischen Raum vollständig darauf angewiesen, dass ich von den Medien korrekt und wahrheitsgetreu informiert werde.
Natürlich kann ich mir auswählen, welcher Zeitung, welcher Sendung, welchem Blog ich mein Vertrauen schenken will, weil ich dieses Medium für seriös und unabhängig halte. Es gibt einige sog. „Leitmedien“, von denen große Teile der Mediennutzer davon ausgehen, dass sie nicht wissentlich die Unwahrheit verbreiten. Allerdings werden sich Vertreter von Minderheitenmeinungen in den Medien immer nicht hinreichend berücksichtigt fühlen. Sie sind entsprechend misstrauisch und hegen nicht selten den Verdacht, dass die Medien die öffentliche Meinung manipulieren. Das führt zum Vorwurf der „Lügenpresse“ (bei Rechten gebräuchlicher Ausdruck) oder der „bürgerlichen Presse, die lügt“ (bei Linken gebräuchlicher Ausdruck).
Früher bestimmten allein die Leit- und Massenmedien die öffentliche Debatte. Sie setzten die Themen und ihre Berichterstattung prägte die öffentliche Meinung, die mit der veröffentlichten Meinung gleichgesetzt wurde. Inzwischen informieren sich immer mehr Menschen auch oder ausschließlich aus dem Internet.
Die Medienlandschaft hat sich grundlegend gewandelt. Manche sprechen sogar von „Revolution“. Gemeint ist: im Internet ist das Verhältnis von Sender und Empfänger einer Nachricht nicht mehr einseitig ausgerichtet, sondern wechselseitig: das Internet hat uns Nutzern von Medien die völlig neue Möglichkeit geschaffen, Informationen und Meinungen nicht nur zu konsumieren, sondern selbst an ihrer Formulierung und Verbreitung mitzuwirken. Das Ergebnis ist eine neue Unübersichtlichkeit.
Inzwischen kann es vorkommen, dass bestimmten Themen der öffentlichen Debatte nicht mehr von den etablierten Leitmedien, sondern von sich massenhaft verbreitenden Nachrichten aus dem Internet gesetzt werden. Über das Internet kommen Ereignisse und Sichtweisen zur Sprache, die in den Leitmedien unerwähnt geblieben sind. Und was die Kommentare betrifft, so gibt es die „shit-storms“, die sich über Facebook und Twitter gegen bestimmte Mitteilungen oder Personen richten, die in den etablierten Leitmedien positiv dargestellt worden sind.
Welche Informationen verdienen öffentliche Aufmerksamkeit? Diese Frage beantwortet nun nicht mehr nur eine kleine Anzahl von Redakteuren, sondern eine große Menge von Personen, die sich über das Internet mehr oder weniger Gehör verschaffen.
Daher ist die Frage, mit der ich mich in diesem Beitrag beschäftigen will, aktueller denn je: Welcher Medieninformation können wir trauen? Verschärft stellt sich diese Frage, weil im Internet – anders als in den Leit- und Massenmedien – auch anonyme Stimmen veröffentlicht sind, die nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn die von ihnen verbreiteten Informationen nachweislich unwahr oder einseitig sind.
Ein Problem der Anonymität besteht auch darin, dass unter ihrem Schutz Menschen gelegentlich ihren inneren Schweinehund „ganz ehrlich“ zu Wort kommen lassen, den sie ohne diesen Schutz im Zaum gehalten hätten. So können über Gerüchte Schmutzkampagnen ins Rollen kommen, die sich gegen hilflose Einzelne oder gegen Minderheiten richten.
Ich denke mir: Die renommierten Leitmedien (Printmedien, Radio und TV) können es sich nicht leisten, wissentlich Unwahrheiten zu verbreiten. Denn sie müssten dann fürchten, dass die Lüge von konkurrierenden Medien als solche entlarvt wird. Das würde den bisher guten Ruf (die Glaubwürdigkeit) des Leitmediums schädigen und damit seine wirtschaftliche Grundlage gefährden. Das Problem sind also nicht Lügen, sondern Halbwahrheiten, unterdrückte Meldungen, ausgeblendete Informationen, einseitige Berichterstattungen.
Ich möchte nun das „Problem Medienvertrauen“ anhand einer Dankesrede der „Journalistin des Jahres“ Golineh Atai näher beleuchten. Die eindrucksvolle Rede wurde anlässlich der Preisverleihung gehalten und in der ZEIT vom 26.2.2015 abgedruckt.
Frau Atai berichtet als ARD-Korrespondentin über den Krieg im Osten der Ukraine. Dabei macht sie Bekanntschaft mit der in kriegerischen Situationen üblichen Desinformation der Konfliktparteien und plädiert dafür, sich von dieser Lügenpropaganda nicht vereinnahmen zu lassen, sondern dem journalistischen Ethos von unabhängiger Berichterstattung treu zu bleiben.
Sie sagt: „Die meisten Journalisten in dem Land, in dem ich lebe, begreifen sich mittlerweile als Informationskrieger. Sie reden ganz offen über ihre Mission…Sie drängen mich geradezu in die Rolle der Kriegerin hinein. Ich will aber Journalistin sein! Nicht Kriegerin! Eine Journalistin, die die Vorgänge in der Welt nach einem Maßstab misst. Dem universellen Maßstab des Rechtsstaats, der Menschenwürde, des Völkerrechts. Bleib gelassen, sage ich mir, greife nicht an, spiel dieses Spiel nicht mit. Widerlege einfach Stück für Stück die tausend erfundenen Geschichten, Verdrehungen, Verschleierungen, die die Informationskrieger jeden Tag produzieren.“ (Zum Maßstab Menschenrechte siehe Beitrag Dem18)
Wenn ich ein solches Bekenntnis lese, steigt in mir Zustimmung und Bewunderung auf. Aber gleich der nächste Absatz stürzt mich in Zweifel. Sie spricht von der „Inszenierungsmaschinerie des Kreml. Sie behauptet, deren „fantastische Ausstrahlungskraft“ sei der Grund dafür, dass „mittlerweile meine deutschen Freunde gar nicht mehr wissen, worum es in der Ukraine und in Russland geht.“ Es seien nur noch müde Zweifel übrig geblieben nach dem Motto: „Nichts ist wahr. Alles ist möglich.“
Frau Atai fühlt sich als eine Journalistin, die Falschmeldungen unerschrocken aufdeckt. Aber sie tut dies einseitig. Sie erweckt den Anschein, als würde nur die russische Seite lügen. Sie versteht nicht, dass Menschen, die den Konflikt aus der Ferne beobachten und dabei die sich widersprechenden Informationen aufnehmen, alle Informationen in Frage stellen, weil sie als Realisten davon ausgehen, dass in Kriegen die Wahrheit immer auf der Strecke bleibt.
Frau Atai ist bei ihren Berichten auf Informationen angewiesen, die ihr von anderen Menschen zugetragen werden. Der Zuschnitt und die Einfärbung von überbrachten Informationen spiegelt immer die Entstellung der Informanten wider. Aber selbst dann, wenn die von ihr transportierten Informationen auf eigenem Erleben beruhen, eine Lüge also objektiv als solche entlarvt werden kann, lässt Frau Atai die Tatsache außer acht, dass auch die Gegenseite, also die Ukrainische Regierung, eine ähnliche „Inszenierungsmaschinerie“ betreibt wie die russische Seite.
Die Sicht von Frau Atai ist parteiisch, wenn sie nur die Desinformationen der einen Seite anprangert. Sie ist offensichtlich auf einem Auge blind, ohne es zu merken. Sie macht auf mich den Eindruck eines Menschen, der nicht wahrhaben will, dass es Grenzen der journalistischen Wahrheitsfindung gibt. Dies gilt nicht nur im Krieg, sondern abgeschwächt auch in „normalen“ Zeiten und Situationen. Zum Thema Medien, Macht und Meinung siehe auch Beitrag 3 und Beitrag Dem13.
Was folgt daraus? Wir mündigen Bürger sollten unsere Meinungsbildung nicht allzu sehr von unserer bevorzugten Informationsquelle abhängig machen. Wir müssen als Mediennutzer beim Konsumieren von Nachrichten eine grundsätzlich skeptische Haltung einnehmen. Die einzige Hilfe, die wir dabei haben, ist die Medienvielfalt – also die Möglichkeit, Nachrichten aus verschiedenen Quellen miteinander vergleichen zu können – und unser kritischer Verstand, mit dem wir die Plausibilität bestimmter Informationen einschätzen. Aber die Unsicherheit bleibt.
Aufgabe des Staates ist es, für die Medienvielfalt zu sorgen. Er kann allerdings dafür nur Rahmenbedingungen schaffen, z.B. mit der Kartellgesetzgebung. Wichtig in diesem Zusammenhang sind die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten, die sich im Unterschied zu den privaten Medien über kommerzielle Interessen hinwegsetzten können, die jedoch eher in der Gefahr stehen, dem Einfluss politischer Interessen zu unterliegen. Ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien ist in Ordnung.
Was die Printmedien betrifft, so halte ich es für hilfreich im Sinne leichterer Orientierung, dass die einzelnen Medien hinsichtlich ihrer politischen Richtung ein mehr oder weniger klar erkennbares Profil aufweisen. Sie berichten aus eher linker, linksliberaler oder konservativer Perspektive. So lassen sich Nachrichten und Kommentare leichter einordnen und relativieren. Eine hohe Qualität erreichen Medien, wenn mehrere Sichtweisen und politischen Richtungen gleichermaßen zu Wort kommen lassen.
Mit besonderer Aufmerksamkeit müssen wir, so denke ich, den Einfluss der Wirtschaft auf die Medien beachten. Welche Informationen und welche Kommentare dienen den Interessen der Wirtschaft oder einer bestimmten Branche? Bekanntlich sind die meisten privaten Medien auf die Einnahmen aus Anzeigen angewiesen und werden sich hüten, ohne Not ihre Anzeigenkunden zu verärgern. Bei der Einschränkung „ohne Not“ denke ich an Informationen, die den Vertretern der Wirtschaft zwar wehtun, die jedoch nicht unterdrückt werden können, ohne dass die Glaubwürdigkeit des Mediums großen Schaden nimmt. zum Inhaltsverzeichnis
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