Wer von uns will nicht selbstbewusst und selbstsicher sein, sich nicht verunsichern lassen durch befürchtete oder tatsächliche Ablehnung und Kritik? Wir möchten einer Kritik souverän begegnen können und, wenn wir einen Fehler gemacht haben, diesen einräumen können, ohne uns dabei klein zu fühlen.
Wer selbstbewusst und selbstsicher ist, der plustert sich nicht auf, drängt sich nicht in den Vordergrund, begegnet anderen nicht arrogant. Das hat er nicht nötig. Die Neigung, sich über andere zu erheben oder andere zu übertrumpfen, wird zwar manchmal mit Selbstbewusstsein verwechselt, ist aber eher ein Zeichen von Unsicherheit. Mancher, der einer Situation nicht gewachsen ist, reagiert nach dem Motto: meine Unsicherheit überspiele ich mit forschem Auftreten.
Der Selbstbewusste und Selbstsichere wird nicht durch Gefühle der Minderwertigkeit bedrängt. Diese Gefühle sind sehr unangenehm. Sie hemmen und blockieren die davon betroffene Person in ihren Möglichkeiten, sich anderen Menschen gegenüber zu zeigen, wie sie ist und was in ihr steckt.
Das klingt alles so einfach und klar. Ist es aber nicht. Die Begriffe „Selbstbewusstsein“ und „Selbstsicherheit“ sind missverständlich. Sie können als Konzepte verstanden werden, die im realen Leben kaum passgenau anzuwenden sind. Es sind Denkschemata, die wir uns zurechtschneidern. Daher möchte ich darüber nachdenken.
Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein werden oft synonym verwendet, setzen jedoch unterschiedliche Akzente.
Selbstbewusstsein bedeutet nichts anderes als: jemand ist sich seiner selbst bewusst. Ein Mensch hat ein Ich-Gefühl entwickelt. Dieses Gefühl kann jedoch trügen. Vielleicht macht sich diese Person nur etwas vor. Sie mag sich zum Beispiel als Versager oder als Genie sehen und irgendwann erfahren, dass sie sich geirrt hat. Sie mag sich für besonders intelligent oder gefühlvoll oder raffiniert halten – und nach der Begegnung mit Menschen, die ihr in dieser Hinsicht weit überlegen sind, merken, dass sie sich völlig falsch eingeschätzt hat. Sie ist eben nur Durchschnitt. Selbstbilder können – bei neuen Erfahrungen – wechseln.
Wer selbstbewusst daherkommt, vermittelt den Eindruck der Selbstsicherheit. Unter Selbstsicherheit verstehe ich ein stabiles Selbstbewusstsein. Eine selbstsichere Person fühlt sich auch einer schwierigen Situation gewachsen, lässt sich von dieser nicht verunsichern. Sie stürzt sich nicht in Selbstzweifel, sondern steht unerschütterlich zu dem, was sie denkt, fühlt und tut.
Aber auch hier beschleicht mich der Verdacht: ist dieses stabile Selbstbewusstsein nicht vielleicht auf Sand gebaut: auf einem Selbstbild, das der Realität nicht standhält? Woher bezieht der jeweilige Mensch seine Identität? Ist er jemand, der zum Beispiel denkt, er sei etwas Besonderes, weil er aus einer adligen Familie mit überlegener genetischer Ausstattung stammt – und daraus sein stabiles Selbstbewusstsein (Selbstwertgefühl) ableitet? Anderes Negativbeispiel: Ein Mensch, dessen Selbstbewusstsein auf seinem akademischen Grad beruht, hält sich generell für klüger und kompetenter als Menschen ohne diesen Grad. Er mag meinen, sich auch in Wissensgebieten, in denen er Laie ist, ein besseres Urteil bilden zu können als andere Laien.
Aus diesen Überlegungen schließe ich: Bezeichnungen wie „Selbstbewusstsein“, „Selbstsicherheit“ und „Selbstwertgefühl“ sagen nicht viel aus, sondern besagen nur, dass jemand mit sich selbst zufrieden ist und sich nicht leicht verunsichern lässt. Auch der größte Depp ist mit sich zufrieden und lässt sich nicht leicht verunsichern. Es muss also noch eine Qualität hinzukommen, bevor wir uns, wie eingangs erwähnt, wünschen, selbstbewusst und selbstsicher zu sein. Ich meine den Selbstzweifel. Ohne eine hinreichende Portion davon möchte ich nicht selbstbewusst und selbstsicher sein.
Erst der Selbstzweifel macht uns, so denke ich, zu Menschen, die den berechtigten Anspruch erheben können, ernst genommen zu werden.
Natürlich kommt es auf die „richtige“ Dosierung des Selbstzweifels an. Er kann zerstörerisch wirken, wenn er übertrieben wird. Aber sein Fehlen führt zu Selbstüberschätzung aufgrund von Dumpfheit, Naivität, Kritikunfähigkeit, mangelndem Differenzierungsvermögen.
Ein Mensch, der im Sinne eines gesunden Selbstzweifels über ein kritisch reflektiertes (und im Sinne der Selbstsicherheit stabiles) Selbstbewusstsein verfügt, wendet seine Aufmerksamkeit auf sich selbst, spürt sich selbst, stellt sich seinen Gefühlen, verarbeitet das, was er erlebt und was ihm so durch den Kopf geht – und macht sich auf dieser Basis einen Reim auf sich selbst. Dieser Mensch ist dann, so könnte man sagen, „bei sich“, ist sich seiner selbst „bewusst“ im Sinne einer wachen Verbindung zum eigenen unverstellten Empfinden, Denken und Wollen. Er nimmt sich in diesem Sosein an.
Wie können wir in diesem („gereinigten“) Sinne selbstbewusst und auch selbstsicher werden? Gibt es Übungen, Trainingsabläufe, Methoden, um diese von uns allen ersehnten Haltungen zu erreichen? Obwohl es eine Menge entsprechender Angebote auf dem Psychomarkt gibt, bin ich da grundsätzlich sehr skeptisch. Warum? Selbstbewusstsein und auch Selbstsicherheit entstehen nicht, weil wir es wollen und uns darum bemühen. Das funktioniert nicht. Da muss noch etwas hinzukommen.
Wer sich seiner selbst bewusst sein will, muss eine Antwort auf die Frage finden, wer er ist. Dafür reicht es nicht, seine Aufmerksamkeit auf das eigene Fühlen und Denken zu richten. Wir müssen unsere Selbstwahrnehmung in ein Selbstbild übersetzen, das der Realität standhält. Und diese Realität wird uns durch unsere Mitmenschen gespiegelt. Darin liegt der größte Nutzten ehrlicher Kommunikation unter Freunden.
Die alten Griechen sprachen eine zentrale Aufgabe eines jedes Menschen an, wenn sie forderten: „Erkenne dich selbst“. Die alten Griechen wussten: Wir machen uns gern etwas vor. Davor bewahrt uns auch nicht unsere Bereitschaft zur kritischen Reflexion unseres Selbstbildes. Davon bewahrt uns nur der Blick von Menschen, die uns wohl gesonnen sind.
Was macht uns bei allem Selbstzweifel selbstbewusst und selbstsicher? Nicht nur unsere emotional ausgeglichene Befindlichkeit, sondern auch der Blick unserer Mitmenschen auf uns. Wie sie uns sehen, beeinflusst gravierend unser Selbstbild und unsere Selbstsicherheit. Und mit diesem Blick werden Anforderungen an uns transportiert, denen wir uns stellen müssen. Wir müssen uns also in irgendeiner Weise bewähren. Erst dann signalisiert der Blick der anderen Menschen auf uns Anerkennung – und von der sind wir abhängig. Diese Anerkennung ist, so denke ich, die Voraussetzung dafür, dass wir selbstbewusst und selbstsicher durch die Welt gehen.
Wir Menschen sind nicht so frei und autonom, wie wir es gern hätten und uns manchmal einbilden. Als stammesgeschichtlich sozial definiertes Wesen sind wir abhängig von der Akzeptanz in der Gruppe, der wir uns zugehörig fühlen. Das war schon Thema im Beitrag 2. zum Inhaltsverzeichnis
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