Ein Blick in die Zeitung ist ein Blick in die Welt außerhalb unseres unmittelbaren Erfahrungsraumes. Die Massenmedien erlauben es uns, mit Tatsachen und Meinungen in Berührung zu kommen, die uns sonst verborgen bleiben würden. Aus eigenen Erfahrungen und aus dem, was wir aus den Medien wissen, formt sich unser Bild von der Welt.
Wer sich mit strategischem Wissen (siehe Beitrag 3) begnügt – sich also auf die pragmatische Bewältigung seines Lebens in Familie, im Beruf und in seiner Freizeit beschränkt – der braucht keine Medien oder nimmt ihre Informationen nur als Hintergrundrauschen wahr. Wer sich jedoch die Zeit und Kraft nimmt (nehmen kann und will), über den eigenen Tellerrand das Geschehen zu beobachten und zu deuten – also an Orientierungswissen interessiert ist – für den ist die Nutzung von Medien (Zeitungen, Bücher, TV, Hörfunk, Blogs, digitale Medien…) unverzichtbar.
Bevor ich zur Machtfrage Überlegungen anstelle, will ich kurz die „persönliche“ Beziehung des politisch interessierten Menschen zu den Medien reflektieren.
Die meisten Menschen konsumieren nur die Zeitungen, Sender oder Filme, die dem eigenen Bild von der Wirklichkeit am nächsten kommen. Das ist völlig in Ordnung. Medien ähneln in ihrer Funktion einem anonymen Gesprächspartner, der uns von einem Ereignis berichtet (Informationsvermittlung) und seine Meinung dazu äußert (Kommentar). Und doch unterscheidet sich eine Gesprächssituation gravierend von der Nutzung eines Mediums.
Im persönlichen Gespräch können wir auf den Bericht unmittelbar reagieren. Wir können den Gesprächspartner nach weiteren Details fragen. Wir können seiner Meinung entweder zustimmen oder unsere abweichende Meinung zum Besten geben und mit ihm in eine Diskussion eintreten.
Und wir können – wenn wir unseren Gesprächspartner näher kennen – relativ gut abschätzen, wie ernst wir die erhaltene Information und Meinungsäußerung nehmen sollten. Ist uns der Gesprächspartner als Schwätzer, Aufschneider, Wichtigtuer oder in anderer Weise als unseriös bekannt oder als ein Mensch, dem wir vertrauen, weil er sich in der Vergangenheit bei Sachinformationen als korrekt und kompetent erwiesen hat und vorschnelle Schlussfolgerungen und Urteile meidet?
Unser Vertrauen gegenüber dem Medium, das wir regelmäßig nutzen, ist mit viel mehr Unsicherheit behaftet als im Falle des persönlichen Gesprächs. Unsere Beziehung zu den Medien, die wir für würdig erachten, uns glaubhaft zu informieren und uns mit Meinungen zu konfrontieren, ist mit Spannung aufgeladen. Wir zweifeln an bestimmten Informationen, die wir für zu einseitig halten, und wir erregen uns über Kommentare, die unserer eigenen Meinung widersprechen.
Hier sehe ich die erste Funktion eines anspruchsvollen Mediums: Es fordert mein Denken heraus. Ich reibe mich an ihm und übe dabei meinen Sinn für die Plausibilität komplexer Zusammenhänge und mein Urteilsvermögen. Die zweite Funktion geht über dieses persönliche Training hinaus: Die Zeitung, der Blog, die Sendung verbinden mich mit der öffentlichen (veröffentlichten) Debatte. In diese Debatte trete ich ein, indem ich mich auf Informationen stütze, die ich selbst nicht überprüfen kann. Ich muss mich also auf mein „Lieblingsmedium“ verlassen.
Trotz der erwähnten Zweifel und Meinungsverschiedenheiten stimmen wir Medienkonsumenten mit der Grundausrichtung der von uns bevorzugten Zeitung oder anderen Informationsquelle im Großen und Ganzen überein. Wir haben gegenüber unserem Lieblingsmedium so etwas wie Grundvertrauen. Wir gehen davon aus, dass die von ihm erhaltenen Informationen hinreichend auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft worden sind, auch wenn wir wissen, dass eine Informationsauswahl getroffen wurde und kein Bericht über komplexe Ereignisse perfekt ist. Ohne blinde Flecken und Einseitigkeiten geht es halt nicht.
Wir sind als politisch und kulturell interessierte Menschen verdammt zu diesem „Grundvertrauen“. Wenn wir es nicht haben, können wir uns in der auf uns einströmenden Informationsflut nicht orientieren.
Es bieten sich nun zwei „Auswege“ an, wenn uns das Vertrauen in die sog. „Leitmedien“ des Mainstreams mehr oder weniger abgeht und wir uns trotzdem nicht aus der politischen Debatte zurückziehen wollen. Wenn uns dieses Vertrauen vollständig fehlt, suchen wir uns eine politische Nische, die uns mehr Übersichtlichkeit verspricht. Jede politische Nische, jede Gruppierung abseits der politischen Hauptströmungen hat ihre eigenen Informationsquellen. Die halten wir dann für zutreffend und „unbestechlich“, weil sie gegenüber dem herrschenden Strom der Informationen und Meinungen eine total skeptische bis ablehnende Haltung einnehmen – genau wie wir selbst. Auf diesem Boden gedeihen leicht ideologisch festgelegte Weltbilder – bis hin zu Verschwörungstheorien. Pauschale Anschuldigungen gegen die „Lügenpresse“, wie sie z.B. Pegida erhebt, oder gegen die „verlogene bürgerliche Presse“, wie sie aus linken Kreisen gern erhoben werden, sind dann schnell bei der Hand.
Ich will hier nicht schwarz-weiß malen. Denn ich gehöre selbst zu den Leuten, die den politischen Hauptströmungen skeptisch gegenüber stehen. Mir ist allerdings das Vertrauen in die „Leitmedien“ nicht vollständig abhanden gekommen. Daher neige ich zum zweiten Ausweg. Ich lese mein „Lieblingsmedium“ in Form einer anspruchsvollen Tageszeitung und verfolge gleichzeitig auch Stimmen, die aus manchen politischen Nischen kommen. Meine Lebenserfahrung dient mir als „Kompass“, der mir Hinweise gibt, welchen Informationen ich einigermaßen trauen kann und wo eher Zweifel angebracht sind, wo ich Einseitigkeiten vermute und wo mir das Gesamtbild vom beschriebenen Ereignis einigermaßen stimmig erscheint.
Ich komme nun zur Machtfrage:
Inwiefern üben in einer Demokratie Medien politischen Einfluss aus, wie stark ist dieser und wer übt Macht aus?
Es wurde schon darauf hingewiesen: Medien beeinflussen unser Bild von der Wirklichkeit – unser gesellschaftliches „Bewusstsein“ – und damit auch unsere politische Einstellung und das daraus abgeleitete Wahlverhalten. Die Ergebnisse von Wahlen haben großen Einfluss auf Entscheidungen des Parlaments und der Regierung (z. B. auf den Inhalt von Gesetzen), die das Leben des Einzelnen erheblich berühren – positiv und negativ.
Weil sich die Politiker in ihren Entscheidungen am Willen ihrer Wähler orientieren – auch ihrer potenziellen Wähler – ist die Macht der Medien, die diesen Willen beeinflussen, kaum zu unterschätzen. Man spricht von ihr als der „vierten Gewalt“ (nach Judikative, Legislative und Exekutive). Ist sie nicht vielleicht sogar, gemessen am politischen Einfluss, die „erste Gewalt“? Und wer steckt hinter dieser Gewalt?
Ein Zitat und einige Bemerkungen zu den Medienmachern: Die Medienlandschaft ist von einem kleinen, überschaubaren Personenkreis geprägt. Der bekannte FAZ-Journalist Paul Sethe hat im Jahr 1965 in einem berühmt gewordenen Leserbrief an den Spiegel folgende prägnante Beschreibung der Medienrealität geliefert: „ Im Grundgesetz stehen wunderschöne Bestimmungen über die Freiheit der Presse. Wie so häufig, ist die Verfassungswirklichkeit ganz anders als die geschriebene Verfassung. Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Journalisten, die diese Meinung teilen, finden sie immer. Ich kenne in der Bundesrepublik keinen Kollegen, der seine Meinung verkauft hätte. Aber wer nun anders denkt, hat der nicht auch das Recht, seine Meinung auszudrücken? Die Verfassung gibt ihm das Recht, die ökonomische Wirklichkeit zerstört es. Frei ist, wer reich ist (…) Und da Journalisten nicht reich sind, sind sie auch nicht frei.“
Dieses Zitat ist auch heute noch aktuell. Allerdings hat sich die Medienlandschaft inzwischen um das Internet erweitert, so dass sich heute auch nicht konforme Meinungen leichter verbreiten lassen als früher. Allerdings verbreitet sich über das Internet auch sehr viel Desinformation. Das hängt damit zusammen, dass die hinter den Blogs stehenden Personen vielfach (wie auch in diesem Blog) unerkannt bleiben. Wenn jemand im Internet anonym Lügen, Halbwahrheiten, verkappte Werbung, böse Gerüchte und diskriminierende Meinungen bis hin zu Verschwörungstheorien verbreitet, ist es kaum noch möglich, diesen zur Rechenschaft zu ziehen. Das Internet stellt somit besondere Anforderung an seine Nutzer hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur kritischen Bewertung der kommunizierten Inhalte.
Das Zitat von Paul Sethe weist auf den Zusammenhang von Wirtschaftsmacht und Freiheit im Medienbetrieb hin und darauf, dass sich die Medien in der Hand einer überschaubaren Personengruppe befinden – und damit die Möglichkeit einer starken Beeinflussung von politischer Meinungsbildung. Dieser Befund korrespondiert mit den im Beitrag 7 getroffenen Feststellungen, wo es um den Einfluss von relativ wenigen Vertretern der großen gesellschaftlichen Gruppen geht.
Wir richten nun unseren Blick auf die Medienkonsumenten: Die von den anspruchsvollen Medien angeregten und mit Inhalten und Meinungen „gefütterten“ öffentlichen Debatten erreichen nicht die Masse der Wähler. Denn diese sind nicht gewillt, sich mit komplizierten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen auseinanderzusetzen. Diese Debatten werden hauptsächlich innerhalb der sogenannten „gesellschaftlichen Eliten“ geführt, die sich nicht mit instrumentellem Wissen begnügen (siehe Beitrag 3), sondern über Orientierungswissen verfügen. Die Zahl dieser Personen fällt bei Wahlen kaum ins Gewicht. Das Gewicht dieser Personen und ihrer politischen Positionen entfaltet sich an anderer Stelle, nämlich dort, wo sie im Rahmen ihres gesellschaftspolitischen Wirkungsfeldes aktiv sind: als Vertreter mächtiger gesellschaftlicher Gruppen, zum Beispiel der Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Automobilclubs, Umweltverbände, Kirchen, Sozialverbände und Gruppen aus der kritischen Zivilgesellschaft.
Die politische Relevanz der Medien in der Demokratie sehe ich vor allem darin, dass die veröffentlichten Meinungen in der Bevölkerung und auch in den Parteien weitgehend als die herrschende „öffentliche Meinung“ wahrgenommen werden (vor allem dann, wenn mehrere Medien ins gleiche Horn blasen). Und hier sehe ich auch die größte Gefahr.
Die Neigung zur Gleichsetzung von veröffentlichter mit öffentlicher (vorherrschender) Meinung ist Grundlage einer sehr großen Macht der Medien. Und die ist missbrauchbar.
Bei Printmedien, die von politisch, wirtschaftlich und kulturell interessierten und engagierten Teilen der Bevölkerung gelesenen und geschätzt werden (wie ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Spiegel, BILD und andere), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Politiker die Meinungsäußerungen in diesen Medien als Hinweis auf die „Stimmung in der Bevölkerung“ deuten und sich von ihnen entsprechend beeinflussen lassen. Der große politische Einfluss weniger Kommentatoren („Meinungsmacher“) gilt natürlich auch für viel beachtete Sendungen des Fernsehens.
Dabei bleibt jedoch gelegentlich unberücksichtigt, dass die sogenannten „anspruchsvollen Medien“ (zu denen BILD nicht gehört) nur von einem sehr kleinen Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt gelesen, gehört und angeschaut werden. Dieser eher winzige Prozentsatz bestreitet maßgeblich die öffentliche Debatte, soweit sie über diese Medien geführt wird.
Das ist in meinen Augen kein Mangel. Denn entscheidend ist, ob eine bestimmte Meinung niveauvoll und plausibel oder schlecht und oberflächlich begründet ist, und nicht, ob die Anzahl derer, die diese Meinung teilen, groß oder klein ist. In einer lebendigen und zukunftsfähigen Demokratie kommt es allein auf das Niveau an, auf dem darüber gestritten wird, auf welchem Weg das wohlverstandene Wohl der Allgemeinheit zu erreichen sei.
Noch einige Bemerkungen zu unguten Entwicklungen.
Der zu beobachtende Konzentrationsprozess in der privaten Medienlandschaft gefährdet die Debattenkultur. Von ihrer Vielfalt und hinreichenden Qualität hängt die Kompetenz und Stabilität eines demokratisch organisierten Gemeinwesens ab. Wer das Niveau der Medien absenkt, indem er anspruchsvolle Programme der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wegen angeblich zu geringer Einschaltquoten absetzt, legt die Axt an eine unverzichtbare Institution der Meinungsbildung.
Der Staat muss also die freie und anspruchsvolle Meinungsbildung vor dem freien Markt schützen, weil es dabei nicht aufs Geldverdienen sondern auf die Qualität der Informationen und Kommentare ankommt. Der Prozess der Meinungsbildung, wie er in den USA zu beobachten ist, kann als abschreckendes Beispiel dienen. Hier üben die sich ausschließlich in privater Hand befindlichen Medien mit ihrer marktgläubigen Grundausrichtung einen verhängnisvollen Einfluss auf die Politik aus. Man kann im Fall der USA mit guten Gründen von einer Wirtschaftsdiktatur mit demokratischem Mäntelchen sprechen.
Zurück zur allgemeinen Medienlandschaft. Ein besonderes Problem ergibt sich dann, wenn sich in der Gesellschaft eine krisenhafte Stimmung ausbreitet, weil zum Beispiel in der Mittelschicht die Angst vor dem sozialen Abstieg um sich greift.
In Krisensituationen ist nicht mehr das nüchterne, abwägende Urteil gefragt. Die von irrationalen Gefühlen und Vorurteilen geleiteten Menschen fallen dann auf billige Parolen und auf Demagogen herein, die einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen. Die Zustimmung zu diesen „Lösungen“ wird in aller Regel mit dem Verweis auf Feindbilder und Sündenböcke erleichtert, auf die der Zorn der Bevölkerung gelenkt wird. So erspart man sich die Diskussion über verschiedene Handlungsmöglichkeit. So weit sind wir noch nicht. Die Pegida lässt allerdings bereits die Bereitschaft dazu erkennen, indem sie den Islam im Deutschland als Problem aufbaut.
Die Weimarer Republik, in der die Medien versagt haben, kann ein negatives Lehrstück für zugespitzte Krisen sein, die uns hoffentlich nicht heimsuchen werden. Der Medienunternehmer Alfred Hugenberg ist ein abschreckendes Beispiel aus der damaligen Zeit. Er war vielleicht der bedeutendste Wegbereiter der nationalsozialistischen Herrschaft. Zu seinem Medienimperium gehörten Zeitungen, Verlage, Pressedienste, Werbeagenturen und Filmgesellschaften. Mit seinen journalistischen Mitstreitern hetzte er gegen die Politiker der Weimarer Republik. Der Einfluss dieses Demokratieverächters auf die Politik war enorm. Er machte Hitler in bürgerlichen Kreisen salonfähig. Vielleicht wäre ohne seine mediale Unterstützung Hitler nie an die Macht gekommen. Der verhängnisvolle politische Einfluss Hugenbergs warnt uns vor den Folgen eines zu weitgehenden Konzentrationsprozesses in der Medienlandschaft. zum Inhaltsverzeichnis
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