Der Lobbyismus steht in einem schlechten Ruf. Wenn von Seiten der Politik ein Gesetz vorbereitet wird, dann versuchen Vertreter der von diesem Gesetz berührten Interessen, Einfluss auf die zuständigen Politiker zu nehmen mit dem Ziel, das Gesetzgebungsverfahren in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Wo liegt das Problem? Werden dadurch Entscheidungsprozesse weniger demokratisch? Ist die Beeinflussung zu einseitig?
Ich halte es für völlig legitim und sogar für nützlich, wenn Interessenvertreter ihre Argumente vortragen, um damit Überzeugungsarbeit im Sinne ihrer Interessen zu leisten. Die Politiker erhalten auf diese Weise entscheidungsrelevante Informationen – nicht nur aus der Sicht eines der berührten Interessen, sondern auch aus der Sicht der anderen Interessen, deren Beeinflussungswunsch in eine andere Richtung zielt. Also kann der Politiker das Für und Wider aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und abwägen. So weit so gut.
Laut Wikipedia waren im Umkreis des Bundestages zum Jahresende 2014 genau 2221 Lobbyisten – Vertreter von Verbänden, Unternehmen und anderer Interessen, auch gemeinnütziger – freiwillig registriert. Die Lobbyisten (Interessenvertreter) in Brüssel werden für 2014 auf 15.000 bis 25.000 geschätzt. Diese Personen versuchen, mit ihren Informationen und Argumenten die Abgeordneten zu erreichen und in ihrem Sinne zu beeindrucken.
Ist es notwendig oder sinnvoll zu wissen, wer wann welchen Abgeordneten kontaktiert hat? Das glaube ich nicht. Die notwendige Transparenz halte in anderer Hinsicht für wichtig: welche Argumente waren ausschlaggebend für das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten? Ich plädiere dafür, dass bei jedem Gesetz, das verabschiedet wird, jeder Abgeordnete die Gründe schriftlich und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar darlegen muss, die ihn bewogen haben, für oder gegen dieses Gesetz zu stimmen. Diese Transparenz würde unserer Demokratie gut tun.
Die Lobbytätigkeit als solche halte ich im Prinzip für unbedenklich. Das Problem liegt wo anders: in der Asymmetrie (im Ungleichgewicht) der einzelnen Interessengruppen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten
• zur Beschaffung der relevanten Informationen zwecks direkter Beeinflussung der Entscheidungsträger (Abgeordneten) im Sinne der Interessengruppe
• zur publikumswirksamen Verbreitung dieser Informationen zwecks mittelbarer Beeinflussung der Entscheidungsträger, indem bei den Wählern mit Hilfe der Medien Stimmung im Sinne der Interessengruppe erzeugt wird.
Das Problem ist die Waffenungleichheit. Das ist so, wie wenn zwei Brüder auf die Jagd geschickt werden: der eine hat dafür nur Pfeil und Bogen zur Verfügung, der andere kann ein Gewehr benutzen.
Sowohl die Beschaffung von Informationen als auch deren Verbreitung kann sehr teuer sein – vor allem dann, wenn dafür größere Forschungsgelder notwendig sind, der Einsatz von Denkfabriken hilfreich ist oder PR-Agenturen wertvolle Arbeit leisten können.
In diesen Fällen sind wohlhabende Interessengruppen gegenüber finanzschwachen Gruppen im Vorteil. Dann ist die Gefahr groß, dass nicht das bessere Argument den Ausschlag für die erfolgreiche Lobbytätigkeit gibt, sondern der Geldbeutel. Denn wissenschaftlich erhärtete Informationen machen die Argumente für die Politiker überzeugender als bloße Vermutungen oder nicht hinreichend beweisbare Informationen. Die Wirtschaftsverbände (und auch große Konzerne) haben hier einen enormen Vorsprung vor Interessengruppen, die uneigennützig die Aufmerksamkeit der Politiker auf das Gemeinwohl richten wollen.
Nehmen wir das Beispiel einer Lobbyarbeit für und gegen ein geplantes Gesetz zum Verbot von Tabakwerbung. Die Tabak-Lobby muss gute Argumente gegen, die Gesundheits-Lobby für das Verbot finden und aufbereiten. Die Lobbys müssen auf der einen Seite die Gesundheitsrisiken des Rauchens, auf der anderen Seite die Harmlosigkeit des Rauchens zu beweisen suchen. Dafür ist Forschungsarbeit erforderlich. Die Raucherlobby hat genug finanzielle Mittel, um solche Forscher zu beschäftigen, die nach ihren bisherigen Veröffentlichungen erkennen lassen, dass sie die Risiken des Rauchens als sehr gering einschätzen. Die Gesundheitslobby ist wegen ihrer geringen finanziellen Mittel darauf angewiesen, dass ein aus öffentlichen Mitteln finanziertes Universitätsinstitut die Forschung durchführt. Sie hat daher keinen Einfluss auf die Auswahl der Forscher. Wir müssen uns nicht wundern, dass es Jahrzehnte gedauert hat, bis die Politiker es geschafft haben, der Zigarettenindustrie die Stirn zu bieten und Gesetze zu erlassen, die sowohl die Tabakwerbung als auch das Rauchen in öffentlichen Räumen einschränken.
Ähnlich ist es bei einem anderen Beispiel: Es soll ein Gesetz erlassen werden, das aus Gründen des Klimaschutzes vorschreibt, dass neu gebaute Autos weniger Kohlendioxyd CO2 ausstoßen dürfen als bisher. Also wird die Lobby der Autohersteller dafür plädieren, die Abgasnorm möglichst wirtschaftsfreundlich festzulegen, während die Umweltschutz-Lobby möglichst strenge Grenzwerte fordert. Die Auto-Lobby hebt die hohen Kosten der technischen Umrüstung und die als Folge davon zu erwartenden Verluste von Arbeitsplätzen hervor, während die Umwelt-Lobby auf den drohenden Klimawandel hinweist und die klimafreundlichen Effekte einer möglichst weitgehenden Abgasverringerung betont.
Beide Seiten stützen ihre Argumente auf die ihnen verfügbaren Informationen. Da das Arbeitsplatz-Argument so eine Art Wunderwaffe ist, kann damit gerechnet werden, dass sich die Autolobby durchsetzt. In diesem Fall sind weniger bestimmte Forschungsergebnisse ausschlaggebend bei der politischen Meinungsbildung. Ausschlaggebend ist, ob sich die Bevölkerung mehr vor den Folgen des Klimawandels fürchtet oder vor den Folgen einer lahmenden Wirtschaft für den eigenen Arbeitsplatz. Aber auch hier spielt für die Einflussnahme auf die Politik eine große Rolle, ob die Argumente wissenschaftlich erhärtet sind und wieviel Geld dem Lobbyisten dafür zur Verfügung steht.
Beide Beispiele machen deutlich, wie wichtig es ist, die Argumente wissenschaftlich zu untermauern, damit sie Politiker und ihre Berater überzeugen können.
Was die Öffentlichkeitsarbeit anbelangt, die Interessengruppen einsetzen, um die Bevölkerung von den eigenen Argumenten zu überzeugen – mit dem Kalkül, dass die Politiker sich von der Meinung ihrer potenziellen Wähler beeindrucken lassen – so spielt auch hier das Geld eine große Rolle. Reiche Interessengruppen können sich Denkfabriken, Anzeigen, Veranstaltungen und andere Aktionen leisten, um ihre Argumente unters Volk zu streuen und für die eigene Sichtweise zu werben.
Was folgt daraus?
Ich meine, es muss für Politiker möglich sein, durch unabhängige Forschungseinrichtungen alle relevanten Auswirkung von geplanten Gesetzen ermitteln und einschätzen zu lassen. Es gibt zwar schon Forschungseinrichtungen, die den einzelnen Ministerien zugeordnet sind, zum Beispiel das Robert-Koch-Institut in Fragen der Gesundheit und das Umweltbundesamt und das Bundesamt für Naturschutz für Fragen, die den Umwelt- und Naturschutz betreffen. Solche der Exekutive zugeordneten Forschungsinstitutionen können wiederum Teilfragen von Universitätsinstituten und anderen externen Instituten bearbeiten lassen (Auftragsforschung).
Angesichts der Fülle von zu untersuchenden Fragen sind die staatlichen Möglichkeiten der Forschung begrenzt. Diese Begrenzung ermöglicht es, dass von Interessengruppen Forschungsergebnisse vorgelegt werden, die nicht hinreichend durch neutrale Untersuchungen überprüft werden können. Das darf nicht sein. Daher muss sichergestellt werden, dass kein Gesetz erlassen wird, deren Auswirkungen nicht vorher von neutralen Stellen erforscht worden sind. Nur wenn solche neutral ermittelte Forschungsergebnisse vorliegen, sind Politiker in der Lage, die von Lobbyisten vorgetragenen Argumente hinsichtlich ihrer Stichhaltigkeit zu bewerten, damit ihre Entscheidungsfindung sachgerecht ausfällt.
Was die Verbreitung der sachlich fundierten Argumente in der Öffentlichkeit anbelangt, so kann davon ausgegangen werden, dass auch finanziell schlecht ausgestattete Interessengruppen ihr Anliegen hinreichend gut in den Prozess der Meinungsbildung einbringen können. Denn wie hieb- und stichfeste Argumente in der Bevölkerung aufgenommen werden, hängt vor allem davon ab, ob diese Argumente – die erwartbaren Folgen des geplanten Gesetzes – den Interessen der Bevölkerung entgegenkommen oder nicht. Dann ist es nicht mehr wichtig, in welcher Weise die Argumente vorgetragen werden. zum Inhaltsverzeichnis
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