Das Wort „Populismus“ ist hergeleitet aus „Populus“ – und das heißt: Volk, die Menge, die Volksmenge, das niedere Volk, der Pöbel (laut Wiktionary). Heute werden politische Strömungen, die den herrschenden Parteien als (links oder rechts) zu extrem erscheinen, gern des Populismus beschuldigt, so zum Beispiel die Grünen-Partei in ihrer frühen Zeit.
Die Demokratie ist eine Staatsform, deren Besonderheit im Vergleich zu allen anderen Staatsformen darin besteht, dass die Herrschaft nicht von einer wie auch immer deutlich abgegrenzten Elite ausgeht – vom Adel und Klerus, von einer Militärjunta, von einer ideologisch definierten Partei, von einem Familienclan…- , sondern vom Volk: von der Mehrheit der Bevölkerung (genauer: von ihren Repräsentanten).
Die Eliten, egal welcher Färbung, haben sich schon immer für moralisch besser, klüger, gottbegnadeter gehalten und durch Abstammung, kulturelle Überlegenheit und/oder wirtschaftlichen Erfolg aus der Masse hervorgehoben gefühlt. Sie meinten auch schon immer, dazu berufen zu sein, die „Masse“ des Volkes bevormunden und lenken zu müssen.
Wie steht es mit den Eliten in einer Demokratie?
Unbestreitbar sind wir Menschen im Hinblick auf unsere intellektuellen, emotionalen und sozialen Kompetenzen und charakterlichen Eigenschaften höchst unterschiedlich. Das spiegelt sich auch in den informellen und formellen Hierarchien wieder – sei es innerhalb einer Freundesgruppe, sei es im Sportverein, sei es im beruflichen Umfeld, in einem Interessenverband, einer staatlichen oder kirchlichen Institution oder im Rahmen anderer Zusammenschlüsse und Organisationen. Es gibt eben Menschen mit besonderen Fähigkeiten, die in bestimmten Situationen gebraucht werden und sich für eine herausgehobene Position eignen und sich auch dafür zur Verfügung stellen. Es sind Menschen, die auf Leistungen beruhende Karrieren gemacht haben – in sehr unterschiedlichen Bereichen. Sie haben dann in ihrem Bereich als Individuum mehr zu sagen, mehr Einfluss auf das Geschehen als die anderen, die von ihren Mitmenschen weniger respektiert sind und in der „Hühnerleiter“ weiter untern stehen.
Zu den Bereichen, in denen sich Menschen mit den jeweils verlangten Leistungen besonders profilieren und entsprechend aufsteigen können, gehören zum Beispiel auch Unternehmen, Interessenverbände und Parteien. Und wer die gesamte Gesellschaft ins Auge fasst, stellt fest, dass auch die Bereiche untereinander in ihrem gesellschaftlichen Ansehen hierarchisch geordnet sind. Ob es Berufsverbände, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, gemeinnützige Gruppierungen oder Parteien sind: sie ringen mit unterschiedlichem Erfolg um gesellschaftliches Ansehen und um den damit zusammenhängenden Einfluss, den sie auf die politische Meinungsbildung ausüben können.
Aus dieser Meinungsbildung resultiert zu einem erheblichen Teil auch das Wahlverhalten der Bürger. Und weil in unserer repräsentativen Demokratie aus der Stimmenmehrheit die politische Macht abgeleitet wird, mit denen die gewählten Abgeordneten die „Geschicke des Volkes“ im Sinne des Allgemeinwohls zu lenken versuchen, können wir getrost diese Abgeordneten als wichtigen Teil der „demokratischen Elite“ bezeichnen. Es ist tatsächlich eine enorme Leistung, vor den Augen der zu Recht misstrauischen Öffentlichkeit Entscheidungen zu treffen und rechtfertigen zu müssen, die diesem hohen Anspruch genügen. Wer unreflektiert beim allseits beliebten Politiker-bashing mitmacht, der sollte sich um sein eigenes intellektuelles Niveau ernsthaft Sorgen machen.
Was haben diese Überlegungen mit dem Thema „Populismus“ zu tun?
Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass der Vorwurf des Populismus meist sehr leichtfertig erhoben wird, wie bereits angedeutet. Der geschichtliche Hintergrund eines solchen Vorwurfs ist die in vordemokratischen Zeiten übliche Verachtung der herrschenden Eliten gegenüber dem „gemeinen Volk“, dem „Pöbel“. Mit der Masse des Volkes wollte die Elite nichts zu tun haben. Die dumpfe Masse musste beruhigt werden („Brot und Spiele“), damit sie nicht gefährlich wurde. Das hat Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich nicht geklappt, weshalb es zur Revolution kam – und nach vielen Rückschlägen später in ganz Europa zur Demokratie. Eliten sind geblieben, aber es sind nun andere.
Worin liegt der grundlegende Unterschied zwischen der heutigen und der vordemokratischen „Herrschaft der Elite“? Wie ich bereits in meinem Beitrag 7 ausgeführt habe, gibt es neben den direkt und indirekt durch demokratische Wahl hervorgegangenen Angehörigen der politischen Elite (den Spitzenleuten in den Parlamenten, den Verwaltungen und den Gerichten) auch die Spitzenvertreter der gesellschaftlich einflussreichen Gruppen und Institutionen (wie Kirchen, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, Sozialverbänden und so weiter). Diese „Funktionäre“ im besten Sinne des Wortes handeln untereinander im Namen ihrer jeweiligen Klientel aus, welche Schritte das Gemeinwesen auf dem Weg in die Zukunft gehen soll. Innerhalb dieser Elite haben zwar die gewählten Abgeordneten das letzte Wort, jedoch orientieren sie sich an den Ergebnissen des Aushandelungsprozesses, weil in ihnen der Wille der einflussreichsten gesellschaftlichen Gruppen zum Ausdruck kommt. Dieser wird in seiner Summe als „Interesse der Allgemeinheit“ verstanden, als der „Wille des Volkes“.
Die in der Demokratie herrschende Elite, deren Angehörige zahlenmäßig nicht besonders ins Gewicht fallen, ist vergleichbar einem Hirten, der seine Herde Schafe führt. Sie ist – anders als in anderen Herrschaftsformen – nicht in sich abgeschlossen, sondern durchlässig. Diese Durchlässigkeit relativiert das Bild vom Hirten und seinen Schafen. „Schafe“ können auch zu „Hirten“ werden, wenn sie sich politisch engagieren – in Parteien und im Rahmen anderer gesellschaftlich relevanter Gruppen und dabei eine herausgehobene Rolle spielen.
Die Elite in einer Demokratie unterscheidet sich von anderen Eliten außerdem darin, dass sie über demokratische (allgemeine, geheime…) Wahlen rückgekoppelt ist zur überwiegend politisch desinteressierten Bevölkerung („Schaftsherde“), die sich – solange es ihnen einigermaßen gut geht – allein um ihr persönliches Leben kümmert und die Politik gern „denen da oben“ überlässt (ohne auf die Gewohnheit des Meckerns zu verzichten).
Die gewählten Abgeordneten als Teil der politischen Elite leben in einem Zwiespalt, der gern geleugnet wird. Einerseits ist ihr ganzes Bestreben darauf gerichtet, die aus ihrer Sicht richtigen Gesetze zu erlassen, also das tun, was sie nach bestem Wissen und Gewissen im Interesse des Gemeinwohls für richtig halten. Andererseits müssen sie ihre Macht erhalten, also ihre Wiederwahl im Auge behalten, um das durchsetzen zu können, von dem sie glauben, dass es im Interesse des allgemeinen Wohls liegt. Das ist ein schwieriger Balanceakt.
Wenn sich beide Motive nicht in Übereinstimmung bringen lassen, dann gerät der politische Amtsträger in einen ernsthaften Konflikt: Soll er das tun, was er für richtig hält, oder das, was seiner Machterhaltung besser dient? Wenn er sich dem sog. „Druck der Straße“ gegen seine Überzeugung beugt, dann ist er ein Populist. Ob ein gewählter politischer Amtsträger mit seinem Populismus am Ende erfolgreich ist oder nicht, lässt Rückschlüsse zu auf das herrschende demokratische Bewusstsein und auf die Anfälligkeit der Demokratie gegenüber Demagogen, die mit einfachen Parolen die Massen hinter sich bringen und sich als Totengräber der Demokratie betätigen.
Eine relativ harmlose Variante eines Populisten verkörpert der Bayerische Ministerpräsident Seehofer. Beispiel: Obwohl er weiß, dass zur Umsetzung der Energiewende und – mittelfristig – zur Versorgung der Bayerischen Wirtschaft Stromtrassen unverzichtbar sind, erweckt er bei den Bürgerinitiativen entlang der geplanten Trassen den Anschein, er könne als einflussreicher bayerischer Staatsmann diese unpopulären Trassen vermeiden – und bezeichnet sehr teure, unrentable Gaskraftwerke als eine realistische Alternative. Wenn er, was mit huntertprozentiger Sicherheit zu erwarten ist, von der Bundesregierung bald zurückgepfiffen werden wird, kann er sich bei tausenden Trassengegnern als ein Politiker darstellen, der sein Möglichstes versucht hat. Die Bösen sind dann die anderen „da oben“. Er macht sich damit bei vielen, die schon immer bayerische Sonderwege schätzen, populär (= volksnah), allerdings zu Lasten seiner Glaubwürdigkeit in den (relativ kleinen) kritischen Bevölkerungskreisen. Er weiß es aus Erfahrung: die meisten seiner Wähler werden ihm das nicht übel nehmen, ganz im Gegenteil.
Zur Rolle von Wissenschaft und Medien (als Teil der Eliten) bei der Kommunikation zwischen Bevölkerung und Eliten:
Über das Misstrauen zwischen Volk und Eliten am Beispiel Pegida hat der bekannte Soziologe Heinz Bude in einem Interview („Ich will nicht nur Zaungast sein“) in der Süddeutsche Zeitung vom 28.2./ 1.3.2015 gesprochen: Im Hinblick auf die Pegida antwortet er auf die Frage, warum er nicht auf einer Gegendemo aktiv gewesen sei: „Ich erkläre lieber. Moderne Gesellschaften thematisieren sich mehr durch Affekte als über intellektuelle Deutung. Es geht immer auch um Gefühle und Stimmungen.“ Es sei die Aufgabe von Wissenschaftlern, für diese („präreflexiven“) Äußerungen eine analytische Sprache zu finden. Weil das nicht geschehe, verstünden sich Volk und Eliten nicht mehr. Das sei ein riesiges Problem. Bude: „Ich glaube, dass es an Dolmetschern unserer gesellschaftlichen Lage fehlt. Wir haben ja gar keine gemeinsame Zukunft mehr, die Zukünfte der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen laufen nirgendwo zusammen. Es braucht wesentlich mehr Leute, die diese Unterschiedlichkeiten erklären und deuten können. Deshalb droht auch die Idee der Volksparteien zu zerfallen. Jüngere Politiker wissen gar nicht mehr, was Volksparteien sind, weder in der CDU noch in der SPD.“
Interviewer: „Das macht auch die Ablehnung bis hin zum Hass erklärbar, die diesen Eliten im Netz entgegenschwappt.“
Bode: „Aus Wut ist Hass geworden. Wut kollektiviert: Jetzt sind wie die Abgeschlagenen, aber irgendwann gibt die Geschichte uns recht und wir werden den anderen auf Augenhöhe begegnen. Es gibt Hasskollektive, die sich zu bestimmten Ereignissen zusammenfinden, aufrichten und wieder verschwinden, um dann beim nächsten Anlass wieder nach oben zu kommen. Das ist politisch durchaus relevant. Es gibt mehr Verbitterung in der deutschen Gesellschaft, als die Eliten denken.“
Interviewer: „Das bringt wiederum die Eliten dazu, sich nur noch in ihren Szenen zu äußern. Woraufhin der Hass weiter wächst.“
Bode: „Absolut. Wer heute (als Wissenschaftler) in die Öffentlichkeit geht, nimmt eine gewisse Gefährdung in Kauf, weniger physisch, auf jeden Fall aber psychisch. Für dieses Risiko gibt es ein schönes Wort: Leidenschaft. Das bedeutet, sich auszusetzen, verwundbar zu machen. Ich könnte danebenliegen. Aber nur so kann man Wissenschaft betreiben.“
Interviewer: „Journalisten, Wissenschaftler, Politiker sind aber ganz gern unangreifbar.“
Bode: „Die Leute wollen sich nicht mehr abkanzeln lassen. Also müssen wir den Mut haben, da hinzugehen, wo es auch mal wehtut. Den haben die Journalisten nicht immer. Sie wollen oberschlau sein und in den VIP-Räumen der Politik mitmischen. Dann verlieren sie den Kontakt zum Publikum.“ zum Inhaltsverzeichnis
Deine Meinung