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Von meinem allgemeinen Mitteilungsbedürfnis (Beitrag 1) unterscheidet sich mein spezielles: meine Beiträge zur Frage, wie Demokratie funktioniert. Dabei denke ich nicht an das, was man in der Schule über Demokratie lernt (was sind freie Wahlen, wie funktioniert Gewaltenteilung? etc.). Mir geht es um die aktuelle Diskussion, ob das, was bei uns politisch abläuft – auf nationaler und europäischer Ebene – noch als demokratisch gelten kann: ob und wie sich der „Wille des Volkes“ artikuliert und ob sich dieser Wille in den öffentlichen Debatten und bei der Verabschiedung von Gesetzen wiederfindet. Welchen tatsächlichen Machtverhältnissen sind wir Bürger ausgesetzt? Können „wir“ oder bestimmte Gruppen unsere/ ihre Vorstellungen vom besseren Leben durchsetzen?
Der Begriff Demokratie lädt zum Missbrauch ein, weil er vieldeutig ist. Ich möchte mein Verständnis von Demokratie (und einigen damit zusammenhängenden Fragen) mitteilen in der Hoffnung, zu mehr Klarheit in dieser wichtigen Debatte beizutragen.
Vor der Wiedervereinigung hießen die „neuen Bundesländer“ 40 Jahre lang „Deutsche Demokratische Republik“ (DDR). Ihre herrschende Elite hielt sich für demokratisch legitimiert, weil sie in ihrer eigenen Vorstellung eine Politik „im Interesse der Bevölkerung“ betrieb. Sie brauchte zur Bestätigung dieser Vorstellung keine allgemeine, gleiche und geheime Wahl, sondern es genügte ihr die Berufung auf die „Wissenschaft“ des Marxismus-Leninismus. Dieses Fundament durfte nicht infrage gestellt werden – insofern ähnlich dem Fundament Grundgesetzt, das für den westlichen Teil Deutschlands (inzwischen für ganz Deutschland) zum allgemein verbindlichen Konsens unseres Gemeinwesens erklärt worden ist.
Worin liegt der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Fundamenten? Das eine ist eine philosophisch-ökonomische Denkposition – in sich stimmig in einem geschlossenen Weltbild – und das andere „nur“ ein grober Rahmen, innerhalb dessen widersprüchliche Positionen (insbesondere „Freiheit“ und „Gleichheit“) in ihren konkreten Erscheinungsformen immer wieder ausgehandelt und miteinander in ein gewisses Gleichgewicht gebracht werden müssen. Das Grundgesetzt ist also Ausdruck eines relativ offenen Weltbildes, in dem es keine eindeutigen („wissenschaftlich“ ableitbaren) Antworten geben kann, sondern nur Annäherungen an Grundsätze mit weitem Interpretationsspielraum (Beitrag Dem18).
Die „Erziehungsdiktatur“ der ehemals sozialistischen Staaten wird heute von niemandem mehr als demokratisch bezeichnet. Inzwischen gibt es jedoch andere Kontroversen darüber, ob bestimmte Gesellschaften den Namen „Demokratie“ noch verdienen:
• Die angeblich „lupenreine“ Demokratie in Russland mit eingeschränkter Pressefreiheit, die sich einer überwältigenden Zustimmung in der Bevölkerung erfreut.
• Die „gelenkte“ Demokratie in Italien zu Zeiten von Berlusconi, der sich Mehrheiten mit seiner Medienmacht beschaffte.
• Die von Oligarchen regierte Demokratie z.B. in der Ukraine (und in anderen Staaten), wo wenige Superreiche das Sagen haben und die Mehrheit hinter sich wissen.
• Die Demokratie des ungezügelten Kapitalismus, in der sozialstaatliche Elemente fehlen oder abschmelzen und die Wirtschaftselite die Zustimmung der Mehrheit gewinnt über die Drohung mit (und Angst vor) Massenarbeitslosigkeit und sozialem Abstieg (Beispiel USA).
• Die Demokratie als Herrschaft einer ideologisch oder religiös orientierten Gruppe, die sich auf eine entsprechend indoktrinierte Mehrheit stützt (Beispiel Iran und China).
• Die Demokratie als Herrschaft einer Militärklique (wie in Ägypten), die mit Zustimmung der Mehrheit die Ordnung aufrecht erhält, nachdem sie Aufstände unzufriedener Minderheiten niedergeschlagen hat.
Diese Beispiele zeigen, dass es viele Ausprägungen von „Demokratie“ gibt, wenn sich diese Staatsform von anderen allein dadurch unterscheidet, dass in ihr der Wille der Bevölkerungsmehrheit durch Wahlen zum Ausdruck kommt (wobei die Attribute „allgemein, frei und geheim“ von den Mächtigen unterschiedlich ausgelegt werden).
Wie kommt es, dass in der Demokratie der westlichen Industrieländer, die hinsichtlich ihrer Wirtschaft durch mehr oder weiniger freie Märkte charakterisiert werden können, das Gefühl entsteht, wir würden von Wirtschaftsbossen regiert und nicht von den gewählten Politikern? Welche Demokratie wollen wir?
Mit meinen Beiträgen zum Thema Demokratie will ich einer weit verbreiteten Demokratiemüdigkeit entgegentreten. Viele meiner Bekannten sind politisch interessiert und engagiert – und einige davon, die besonders hohe Ansprüche an Demokratie stellen, neigen zu der Auffassung: wir haben keinen Demokratie mehr. Sie kommen zu dieser Meinung, weil sie sich fürchterlich ärgern über all das, was in unserer Demokratie schief läuft. Dann sind sie anfällig für abstrakte und pauschale Kritik und für Scheinalternativen (siehe Beitrag 14).
Ich meine aber: Wer wegen seiner überhöhten Ansprüche und aus Enttäuschung darüber, dass diese nicht erfüllt werden, an der Demokratie als solcher verzweifelt und sogar meint, sie sei von einer „Diktatur der Wirtschaft“ verdrängt worden, der gibt etwas auf, was es zu verteidigen gilt. Der hat die Demokratie nicht verstanden. Der arbeitet den wirklichen Feinden der Demokratie in die Hände, ohne es zu wollen.
Demokratie ist eine höchst anspruchsvolle Angelegenheit – und voller Mängel. Wir müssen versuchen, diese Mängel zu überwinden. Und wir müssen eingestehen, dass wir Menschen so sind wie wir sind – und damit meine ich: wir sind politisch oft nicht interessiert und informiert genug, um kompetent mitreden zu können. Darin sehe ich die größte Schwäche jeder Demokratie – und die ist kaum reparierbar. Wir können nicht verlangen, dass sich alle Menschen politisch engagieren. Es werden immer wenige sein, die dafür Zeit und Kraft übrig haben.
Was wäre die Alternative zu unserer heute existierenden Demokratie? Ich habe oben einige Ausprägungen von „Demokratie“ aufgezählt – und die sind teilweise wirklich abschreckend für uns hier in Deutschland. Die wollen wir nicht, oder? zum Inhaltsverzeichnis
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