Aus der Sicht des Einzelnen ist Freiheit, wenn er tun kann was er will. Wenn ein Mensch allein wäre auf der Welt, dann wäre diese Freiheit immerhin durch bestimmte Notwendigkeiten begrenzt, zum Beispiel dadurch, dass er etwas essen, sich gegen wilde Tiere und gegen Krankheiten schützen muss, wenn er überleben will. Das nenne ich die natürlichen Grenzen der menschlichen Freiheit.
Es gibt aber auch soziale Grenzen: Sobald es mehr als einen Menschen auf der Welt gibt, will jeder Einzelne frei sein – und daraus folgt, dass sich die Freiheiten gegenseitig begrenzen. Zwei aufeinander treffende unbegrenzte Freiheiten würden zu einem Kampf führen und dazu, dass der Stärkere seine Freiheit behält und der Schwächere sie verliert. Die Freiheit jedes einzelnen Menschen stößt also dort an ihre Grenze, wo die Freiheit eines anderen Menschen berührt wird – vorausgesetzt, jedem Menschen wird das Recht auf Freiheit gleichermaßen zugestanden im Rahmen einer allgemein verbindlichen Rechtsordnung, die die in einer Gemeinschaft maximal mögliche Freiheit jedes Einzelnen schützt. Diese Voraussetzung der Gleichheit der Freiheitsrechte ist, wie wir wissen, keineswegs selbstverständlich.
(Ihre Gültigkeit ist ziemlich jung und einmalig in der Geschichte der Menschheit. Denn in vordemokratischen Zeiten und in nicht-demokratischen Regionen gab und gibt es Privilegien, die das Maß der Freiheit ungleich verteilen – und das ganz ungeschminkt.)
Der Gedanke von der gesellschaftlichen Freiheit und ihren Bedingungen klingt erst mal ganz einfach und einleuchtend – und gerecht. Wo beginnt das Problem, wo die Ungerechtigkeit? Es/sie beginnt dort, wo Privilegien ins Spiel kommen, die sich auf Eigentum und Leistung berufen. Wer über viel Geld, Immobilien und sonstiges geerbtes oder durch eigene Leistung erworbenes Vermögen verfügt, der hat in besonders hohem Maße Zugriff auf knappe Ressourcen – auf Güter und Dienstleistungen, die für das Leben jedes einzelnen Menschen mehr oder weniger notwendig sind. Angesichts der vielen Menschen mit wenig Eigentum ist der gesellschaftlich erarbeitete Reichtum ungleich verteilt.
Die Ungleichheit als solche ist nicht das Problem, sondern zum Problem wird die Ungleichheit erst dann, wenn sie zur Folge hat, dass Güter und Dienstleistungen für bestimmte Menschen nicht im lebensnotwendigen Umfang zur Verfügung stehen. Für jeden Menschen ist lebensnotwendig, dass er die Möglichkeit hat, sich hinreichend mit Wohnraum, Nahrung und Kleidung zu versorgen. Und bei Achtung der Menschenrechte gehört zur Grundversorgung auch der Zugang zu guten Bildungseinrichtungen sowie zu ausreichender Hilfe bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Für wen diese lebensnotwendigen Mindestansprüche nicht erfüllbar sind, der ist unfrei.
Wir können uns die meisten lebensnotwendigen Dinge leisen, wenn wir eine Arbeit haben und daraus ein angemessenes Einkommen beziehen. Wer keine Arbeit hat oder nicht hinreichend für seine Arbeit entlohnt wird, ist unfrei, weil er abhängig ist von staatlicher und/ oder privater Fürsorge. Daraus folgt: Der Staat, der die Freiheit seiner Bürger zu gewährleisten hat, muss für alle seine Bürger die Teilnahme am Wirtschaftsgeschehen (Vollbeschäftigung) und die Teilhabe an deren Ergebnissen sicherstellen. Es kommt also auf die richtige Weise des Wirtschaftens an, damit diese Forderungen erfüllbar sind.
Wie kann eine Wirtschaft gestaltet sein, die erstens hinreichende Leistungen erbringt (genügend Güter und Dienstleistungen) und zweitens ihre Ergebnisse so verteilt, dass die Freiheit nicht unter die Räder kommt? Wie lassen sich die Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital und natürliche Ressourcen) im Sinne der genannten Anforderungen organisieren? Das regelt vorwiegend der Markt. Wenn in einem demokratischen Wirtschaftsraum die Ergebnisse des Wirtschaftsgeschehens nicht akzeptabel sind, weil sie Teile der Bevölkerung unfrei machen, muss der Markt durch staatliche Regulierung korrigiert werden mit dem Ziel, die Freiheit aller Bürger dieses Staates (oder eines Staatenbundes wie Europa) zu schützen.
Die Funktion des Marktes besteht darin, über die Höhe der in Aussicht gestellten Einkommen die Arbeitenden zu solchen wirtschaftlichen Tätigkeiten (Arbeitsplätzen) zu locken, die etwas herstellen, wonach eine Nachfrage besteht. Je knapper die Menschen mit den dafür notwendigen Fähigkeiten sind, desto höher ist ihre Entlohnung. Wenn das Angebot an Arbeitskräften die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze deutlich übersteigt, ist die marktgerechte Entlohnung niedrig. Hier muss der Staat eingreifen, wenn er bittere Armut und die damit einhergehende Unfreiheit großer Teile der Bevölkerung verhindern will.
Da der Staat die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen nicht oder kaum beeinflussen kann, muss er einen anderen Weg gehen. Er, der Gesetzgeber, muss in den Markt eingreifen, indem er die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs verändert, zum Beispiel über Mindestlöhne und andere soziale/ gesundheitliche Standards, an die sich alle Marktteilnehmer halten müssen. Er muss dabe auf die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen achten. Denn Unternehmen können sich im gleichen Wirtschaftsraum nur am Markt halten, wenn sie durch staatliche Regulierung nicht im Wettbewerb mit ihren Konkurrenten benachteiligt werden.
Hier kommen wir zu einem bisher nicht befriedigend lösbaren Problem: Wenn wir auf nationaler Ebene mit staatlicher Regulierung Gutes durchsetzen, erreichen wir eventuell das Gegenteil. Wie das? Unternehmen, deren Wirkungsbereich den des Gesetzgebers (z.B. eines Staates oder einer Staatengemeinschaft) übersteigt, ich meine global agierende Firmen, müssen sich auf dem Weltmarkt behaupten – und hier gelten die in Deutschland oder einem anderen Wirtschaftsraum beschlossenen Regeln nicht. Wenn ein Staat also in den Markt seines Wirtschaftsraums eingreift, indem er „seinen“ Unternehmen bestimmte soziale oder ökologische Rücksichten auferlegt – Rücksichten, denen Unternehmen in anderen Wirtschaftsräumen nicht oder deutlich weniger unterworfen sind – dann schafft er damit Wettbewerbsnachteile auf dem Weltmarkt für die Unternehmen des eigenen Landes – und riskiert den Verlust an Arbeitsplätzen. Die Unfreiheit in Gestalt der Arbeitslosigkeit kommt durch die Hintertür zurück.
Denn wir stehen hier vor dem Problem der neoliberalen (nicht durch einheitliche Gesetze regelbaren) Globalisierung des Wirtschaftsgeschehens: Freihandel, offene Märkte, die es unmöglich machen, die einzelnen Wirtschaftsräume mit Hilfe von Zöllen, Kontingenten und Kapitalverkehrsregeln zu schützen, wenn ihre Unternehmen durch den Import von Waren und Dienstleistungen bedroht sind – eine Bedrohung durch ungleichen Wettbewerb. Die Ungleichheit der Wettbewerbsbedingungen entsteht, wenn die konkurrierenden Unternehmen ihren Standort in Ländern haben, in denen sich der Markt ohne hemmende Regulierung entfaltet, wo also die Unternehmen niedrige Löhne und wenig Steuern zahlen und keine anspruchsvollen sozialen und ökologischen Standards zu beachten haben. Den Unternehmen in den Hochlohn- und Hochsteuerländern bleibt nur ein Ausweg, um in diesem ungleichen Wettbewerb nicht unterzugehen: sie müssen ihre Produktivität steigern (Lohnstückkosten verringern), indem sie immer mehr Arbeit durch Maschinen und Apparate ersetzen.
Dieser Wachstumszwang setzt Arbeitsplätze „frei“ (vernichtet sie) und ist unvereinbar mit dem Ziel der ökologisch-sozialen Nachhaltigkeit. Unbegrenztes Wachstum verbraucht die nur begrenzt verfügbaren natürlichen Ressourcen und setzt klimaschädliche Gase frei. Es hilft uns auch nicht, wenn wir industrielle Produktion ins „billige Ausland“ verlagern und die klimaschädlichen Gase (CO 2) dort entstehen lassen. Unsere durch die wirtschaftliche Globalisierung vermeintlich gewonnene „Konsumfreiheit“ (Zugriff auf viele billige Waren und Dienstleistungen) steht im Widerspruch zu unserer „echten“ Freiheit im Sinne der Selbstbestimmung.
Wie diesem Problem des global ungeregelten Standortwettbewerbs begegnet werden kann, ohne die Demokratie aufgeben zu müssen, lässt sich in dem Buch von Hans-Joachim Schemel nachlesen: „Wirtschaftsdiktatur oder Demokratie?“ Untertitel: „Wider den globalen Standortwettbewerb – für eine weltweite Regionalisierung“ (2010, Publik Forum Verlag). zum Inhaltsverzeichnis
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