Die Rede vom Kampf der Geschlechter betont das Gegeneinander männlicher und weiblicher Interessen und die Unvereinbarkeit ihrer Eigenschaften. In der Kritik an der patriarchalischen Geschlechterrolle kommen die Männer oft nicht gut weg. Aggressivität, dominantes Auftreten, Gefühlsarmut bis hin zu fehlender sozialer Kompetenz werden nicht selten als „typisch männliche Eigenschaften“ bezeichnet. Wie weit solche Eigenschaften biologisch oder sozial determiniert sind, wird heftig diskutiert. Ich vermute, dass Männer und Frauen gut zusammenleben können, wenn die angeblich typischen „männlichen“ und „weiblichen“ Eigenschaften – unabhängig von ihrer Zuordnung zu ihren biologischen Trägern – sich gegenseitig ergänzen und befruchten.
Diese Vermutung erscheint in einem ganz anderen Licht, wenn wir in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit eintauchen.
Was haben unterschiedliche Geschlechterrollen mit Evolution zu tun? Das soll eine (zu Unrecht als sexistisch kritisierte) Szene aus dem Kinofilm „Genie und Wahnsinn“ verdeutlichen, der das Leben des Nobelpreisträgers und Spieltheoretikers John Forbes Nash nacherzählt: der Student Nash sitzt mit Kommilitonen in einer Bar, als eine Gruppe junger Mädchen hereinkommt. Besonders eine Blondine findet das Gefallen der Studenten. Was tun? Einer der Studenten meint, jeder solle auf eigene Faust versuchen, die begehrte Frau zu erobern, und beruft sich dabei auf den Ökonomen Adam Smith, der geschrieben hat: „Im Wettbewerb kommt der individuelle Ehrgeiz dem Gemeinwohl zugute.“ Nash widerspricht und argumentiert: wenn sie sich alle um die Blondine rissen, dann behinderten sie sich gegenseitig und keiner würde Erfolg haben. Die anderen Mädchen wären dann auch weg, weil keine von ihnen die zweite Wahl sein will. Es ist klüger, die Blondine zu ignorieren und mit ihren Freundinnen zu flirten. Dann sind alle am besten dran. Was die Blondine betrifft, so solle man die Wahl ihr überlassen.
In die gleiche Kerbe schlagen die Ergebnisse einer Forschung, die an der University of East Anglia in Norwich durchgeführt worden ist (Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung vom 26. Mai 2015: „Wozu Männer?“) Die Wissenschaftler fragten sich aus evolutionstheoretischer Sicht, warum es überhaupt Männer gibt. Denn sie seien bei der Reproduktion der Gattung kaum dienlich. Die Frauen bringen die Kinder zur Welt und die Männer tragen lediglich Sperma dazu bei.
Auf die persönlichen Ebene übertragen: im Leben so mancher Frau gibt es Momente, in denen sie sich fragt, wozu Männer eigentlich gut sind. Bartens schreibt: „Sie (Männer) riechen nach Schweiß, schnarchen und sogar für einfachste häusliche Tätigkeiten sind sie selten zu gebrauchen. Was die Frauen meistens nicht wahrhaben wollen: Während sie argwöhnisch Nasenhaare und Bauchansatz des Mannes an ihrer Seite betrachten, sollten sie sich darüber klar sein, dass sie gerade ein Prachtexemplar der Evolution vor sich haben, das durch sein unvergleichliches Äußeres, seinen betörenden Geruch und seine unwiderstehlichen Umgangsformen hunderttausende Jahre Menschheitsgeschichte überstanden hat, ohne dass er oder seine Ahnen als genetisch nicht vermittelbar aussortiert worden sind.“
Was hier so blumig beschrieben wird, nennen die Forscher sexuelle Selektion. Das männliche Werben um die Frau – das Getue eines Rad schlagenden Pfaus, das Posieren und Flirten, die ihr geltende besondere Aufmerksamkeit und Höflichkeit dienen dazu, die eigenen Vorzüge zu betonen. In der Begrifflichkeit der Evolutionstheorie gesprochen: in einer Population sollen die besten Anlagen zum Vorschein kommen.
Zweck eines Verhaltens nach den Gesetzen der Evolution ist es, gesunde Nachkommen in einer geschützten Umgebung zur Welt zu bringen. Die Spezies Mensch soll vom Aussterben bewahrt und im Kampf ums Überleben gestärkt hervorgehen. Und dieser Zweck wird am besten erfüllt, wenn erstens die Männer im Wettbewerb um die Frauen sich darin überbieten, wer der Attraktivste ist, und wenn zweitens die Frauen mit Bedacht ihre Wahl treffen.
Die Forscher, die ihre Theorie anhand der Untersuchung von 50 Käfergenerationen überprüft und verifiziert haben, kommen zu dem Schluss, zwei Geschlechter gebe es vor allem deshalb, um diesen evolutionären Prozess zu stimulieren. Denn erst durch die Zurschaustellung der Unterschiede entscheide sich, wer seine Gene an die nächste Generation weitergeben könne.
„Das Verhalten der Männer ist überwiegend als Bemühen zu verstehen, ihren Spermien die besten Aussichten zu verschaffen“, wird der Biologe Robin Baker zitiert, der in seinem Buch „Krieg der Spermien“ dem Kampf um die beste Keimzellenkombination als einen der wichtigsten Antriebe des Daseins beschreibt. Und das Verhalten der Frauen könne überwiegend als ein Bemühen verstanden werden, Einfluss darauf zu nehmen, dass der aus ihrer Sicht „beste“ Mann die höchsten Erfolgschancen hat.
Wenn Männer sich in bestimmten Situationen zu Affen machen, sobald sich eine attraktive Frau nähert, sollten wir also vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse Nachsicht walten lassen. Der Verhaltensbiologe Karl Grammer hat festgestellt: „Männliche Selbstdarstellung und Statusorientierung sind ein Ergebnis weiblicher Auswahlkriterien.“ Mit anderen Worten – und mit Blick auf die Evolutionsgeschichte: Frauen haben die Männer zu dem gemacht, was sie heute sind.
Ich denke mir: wir Menschen – ob Mann oder Frau – haben sehr unterschiedliche Geschmäcker, was die Attraktivität des anderen Geschlechts anbelangt. Es gibt zwar gesellschaftlich geprägte Vorlieben für bestimmte Eigenschaften und entsprechende Moden, aber die individuellen Neigungen sind doch sehr unterschiedlich – trotz des in der jeweiligen Kultur herrschenden relativ einheitlichen Zeitgeistes. Darüber, wovon diese persönlichen Neigungen abhängig sind, gibt es zahlreiche Spekulationen. Die Identifikation mit dem Vater oder der Mutter – vielleicht auch eine bewusste Abgrenzung von ihnen – spielt dabei sicher eine Rolle.
Wir Männer bilden uns gern ein, dass wir diejenigen sind, die eine eigenständige Wahl getroffen haben, wenn wir uns verlieben und uns für eine Partnerin entscheiden. Aber die zitierte Forschung legt eine andere Deutung nahe: wir werden ausgewählt. Die entscheidende Frage sowohl für den Bestand der Partnerschaft als auch für den evolutionären Erfolg liegt also darin, ob die von uns ins Auge gefasste Frau ihre Wahl mit Bedacht trifft, wenn sie uns anderen Männern vorzieht. Aber was heißt hier „mit Bedacht“? Sind es nicht die Gefühle, die uns überwältigen, wenn wir uns verlieben? Spielt die rationale Überlegung da noch eine Rolle? Oder ist es der reine Sexualtrieb? Erfahren wir nicht immer wieder, dass solche Männer bei Frauen am besten ankommen, wenn sie auf diese sexuell besonders anziehend wirken – unabhängig davon, ob diese Männer auch über Eigenschaften verfügen, die für die „Aufzucht der Jungen“ wirklich wichtig sind?
Bei uns in früheren Zeiten und in manchen Gesellschaften auch heute noch betrachten es die Eltern der heiratsfähigen jungen Männer und Frauen als ihre Aufgabe, die Ehepartner zu bestimmen – bei religiös begründeter Unauflöslichkeit der Verbindung. Das hatte und hat wohl meist seinen Grund darin, die Eigentumsverhältnisse der jeweiligen Familien positiv gestalten zu wollen. Die elterliche Auswahl des Partners lehnen wir modernen Menschen ab. Wir riskieren lieber eine falsche Wahl, indem wir uns „blind“ allein vom Gefühl sagen lassen, welche(r) Partner(in) der/ die Richtige ist.
Wählt das Gefühl wirklich blind? Das Gefühl der meisten Frauen – so vermute ich – wird mehr oder weniger unbewusst auch von der Suche nach materieller Sicherheit beeinflusst. Erfogreiche Männer werden vielfach auch dann als attraktiv („sexi“) empfunden, wenn ihre sonstigen Eigenschaften eher am unteren level angesiedelt sind.
Je weniger die berufstätigen Frauen wegen ihrer materiellen Unabhängigkeit darauf angewiesen sind, dass die von ihnen ausgewählten Männer ihnen und den gemeinsamen Kindern Sicherheit und gute Lebensbedingungen bieten, desto weniger kommt es darauf an, dass die Frauen ihre Wahl „mit Bedacht“ treffen. Dieser Gedanke klammert allerdings die seelische Dimension aus: das Leiden an der Trennung. Es trifft am meisten die Kinder, wie wir wissen. Aber auch das ist wahr: wenn Partner trotz ehrlichen Bemühens nicht zusammen passen, dann ist auch für die Kinder eine Trennung ihrer Eltern (ein Ende mit Schrecken) besser als ein Schrecken ohne Ende. Es gibt ja auch relativ kinderfreundliche Formen der Trennung.
Was es aus evolutionärer Sicht bedeutet, wenn die Notwendigkeit des weiblichen Bedachts bei der Wahl des Partners entfällt, sei dahingestellt. Wir können nur hoffen, dass die Gefühle und die Intuition der Frauen eine hinreichend klare (und nicht verwirrte) „innere Stimme“ abgeben – und sich dabei nicht vorwiegend an materiellen Maßstäben orientieren. Das gilt auch für uns Männer, denn wir haben ja auch noch ein Wörtchen mitzureden, wenn es darum geht, ob wir die auf uns gefallene Wahl annehmen oder nicht. Vielleicht liegen wir als Männer und auch als Frauen ja sowohl aus persönlicher als auch aus evolutionstheoretischer Sicht richtig, wenn wir uns in der Liebe weniger vom Verstand und mehr vom Bauchgefühl leiten lassen. Am besten ist immer eine Harmonie zwischen Bauch und Kopf beim Auswählen wie auch bei der Annahme der Wahl. zum Inhaltsverzeichnis
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