Was schwebt mir als eine wünschenswerte Zukunft der Gesellschaft vor? Eine bessere Welt ist möglich. Wie sieht sie aus? Wie wollen wir leben? (Und welche Hindernisse stehen dem entgegen? Welche Schritte führen zum Ziel?) Meiner Utopie, die ich in fünf Punkten skizzieren werde, möchte ich einige Bemerkungen vorausschicken.
Zur Ausgangssituation: Zurzeit gibt uns eine übermächtige Wirtschaft die Regeln des Zusammenlebens vor. Aus Gewinnmaximierung und hemmungslosem (zu wenig geregeltem) Wettbewerb resultiert ein widersinniger Wachstumszwang, der ökologisch unverantwortlich ist und das Gemeinwohl schädigt. Das fortschreitende Auseinanderklaffen von Arm und Reich sowohl innerstaatlich als auch zwischen den Staaten untergräbt das friedliche Zusammenleben der menschlichen Gemeinschaften auf der ganzen Welt. Die neoliberale Globalisierung (geöffnete Märkte: freier Kapitalverkehr, Freihandel) führt zu einem zerstörerischen Standortwettbewerb zu Lasten der Bevölkerungen.
Zu unseren Chancen: Die technologische Entwicklung ist so weit fortgeschritten, dass alle Menschen in Deutschland und der ganzen Welt materiell sorglos leben könnten. Mit den vorhandenen industriellen und digitalen Techniken und Fähigkeiten könnten wir mit deutlich weniger Arbeitseinsatz als heute alle Produkte herstellen und alle Dienstleistungen bieten, die wir Menschen für ein gutes Leben brauchen. Die Arbeitszeiten könnten verkürzt werden. Der Stress in der Arbeit könnte verringert werden, die Menschen hätten mehr freie Zeit, um ihren Neigungen und außerberuflichen Aufgaben nachgehen zu können. Und das Wichtigste: alle arbeitsfähigen Menschen könnten einen Arbeitplatz finden, der ihnen eine materiell befriedigende Existenzgrundlage bietet.
Ich sagte: „wir könnten…“. Es fehlt – abgesehen von den genannten technologischen Voraussetzungen – die Benennung der Bedingungen, unter denen aus „könnten“ ein „können“ und ein „so soll es sein“ (eine Utopie) wird. Den Zusammenhang von Realität und gewollter Zukunft sehe ich so: Aus dem Mangel entsteht ein gedachtes Ziel, daraus wird eine Strategie, die in einen begehbaren „Weg“ einmündet. Aus den Schritten (Entscheidungen, Maßnahmen) auf diesem Weg wird ein veränderter Prozess des Wirtschaftens und Lebens unter neuen Rahmenbedingungen – ein Prozess, der uns zu einer besseren Welt verhilft.
Die Frage ist also: Wie könnten Wissenschaft und Technik in ihrer fortgeschrittenen Entwicklung zu einer besseren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums führen, also so eingesetzt werden, dass sie nicht – wie zurzeit – vor allem einer kleinen Gruppe von privilegierten Menschen zugute kommt, die durch den leistungslosen Einsatz von Kapital immer reicher werden zu Lasten einer größer werdenden Zahl von Beschäftigten, die unter immer größerem Arbeitsdruck stehenden und von der Angst vor materieller Not und Abhängigkeit getriebenen sind?
Es geht also um eine sinnvolle Verteilung der Vermögen, Einkommen und Arbeitszeiten. Und die entscheidende Frage lautet, wie eine solche Verteilung organisiert werden kann, ohne die Effizienz des Wirtschaftens und Freiheiten der Bürger mehr als nötig einzuschränken.
Das übergeordnete Ziel ist also: Die Wirtschaft muss wieder den Menschen dienen und nicht die Menschen einer „Wirtschaftsmaschine“, die einer unbeeinflussbaren Eigendynamik zu folgen scheint. Die Wirtschaft und die in ihr tätigen Menschen müssen in diesem Sinne befreit werden aus den Zwängen eines ungezähmten Marktes, dessen Wirkungsweise (Mechanismen, „Gesetze“) den Zielen des Gemeinwesens zuwiderlaufen.
Damit meine ich: Den so genannten „Gesetzen“ eines sich angeblich selbst regulierenden Marktes sind zurzeit nicht nur die Arbeitnehmer und Selbständigen, sondern auch die Eigentümer von größeren Unternehmen (Produktionsmitteln) unterworfenen. Die Eigendynamik des Marktes (der Märkte) kann nur gezähmt und in den Dienst der (und nicht nur weniger) Menschen gestellt werden, indem in diese Markt-„Gesetze“ politisch eingegriffen wird. Gewinnmaximierung und unbegrenzter Wettbewerb schädigen das soziale Gefüge und die Umwelt. Eine sinnvolle Begrenzung des Strebens nach Gewinn und klare Regeln für den globalen Standortwettbewerb führen dazu, dass die negativen Auswirkungen des Marktgeschehens vermieden und die positiven Antriebe (Motivation, Ansporn, Leistungsbereitschaft) gestärkt werden. Statt gemeingefährlicher Selbstregulierung und globaler Eigendynamik müssen die Güter- und Finanzmärkte politischen Rahmenbedingungen unterworfen werden. Die erforderlichen Rahmenbedingungen sollen die erwünschten Wirkungen marktwirtschaftlicher Anreize nicht außer Kraft setzen. Vielmahr sollen sie das Zusammenspiel von Angebot, Nachfrage und Preisen im Sinne des Gemeinwohls lenken und beeinflussen. Die im Grungesetz verankerte Sozialpflichtigkeit des Eigentums soll ernst genommen werden.
Was sind die Fernziele, die nach meinen Vorstellungen im Sinne des Gemeinwohls angestrebt werden sollen? Ich werde im Folgenden meine Vision, meine machbare Utopie in Gestalt fünf zentraler „Säulen einer besseren Welt“ kurz benennen und erläutern.
• Freiheit und Selbstbestimmung: Alle Menschen sollen ihr Leben frei von Angst führen können – ohne Bevormundung und ohne ungerechtfertigte Zwänge durch Staat und Wirtschaft. Welche Hindernisse stehen dem entgegen? Auf der einen Seite bestehende gesellschaftliche Regeln, die dazu führen, dass die Gestaltungsmacht nicht bei den gewählten Volksvertretern, sondern in den Händen der Wirtschaftselite liegt. Auf der anderen Seite die Angst der Menschen, keinen Arbeitsplatz mit hinreichendem Einkommen zu finden, und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes mit der Folge von Armut und Angewiesensein auf staatliche Fürsorge. Diese Ängste machen die Beschäftigten zu Abhängigen, die zum willfährigen Funktionieren gezwungen sind und sich fügen müssen, um nicht „unter die Räder zu kommen“.
Welche Schritte führen zu dem Ziel? Erstens: Der Staat muss alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Wirtschafts- und Steuerpolitik einsetzen, um Vollbeschäftigung zu erreichen, und die nicht vermeidbaren Arbeitslosen darin unterstützen, neue Arbeit zu finden. Wer nicht arbeiten kann, für den muss gesorgt werden. Zweitens: Durch geeignete Regeln ist die Ausübung von Herrschaft in Wirtschaft und Gesellschaft auszuschließen. Es darf nicht sein, dass einzelne Personen aufgrund ihres Eigentums an Kapital andere Menschen von sich abhängig machen. Erforderlich ist daher eine Verteilung der Verfügungsmacht über Kapital (Produktionsmittel) auf alle, die Maschinen und andere Produktionsmittel bedienen. Das heißt: Kein maßgeblicher Einfluss einzelner Kapitaleigner auf die Politik von Unternehmen. Förderung genossenschaftlich organisierter Unternehmen. Überwindung der Kluft zwischen Reich und Arm durch Reduzierung der Einkommensspreizung (z.B. Faktor 5), angemessene Besteuerung von Einkommen und Vermögen sowie Reform der Erbschaftssteuer. Drittens: Die Demokratie ist zu stärken, indem die Mögllichkeiten der direkten Demokratie erweitert und die politischen Entscheidungen auf möglichst niedriger Ebene gefällt werden (Subsidiaritätsprinzip), denn: je größer die räumliche/ administrative Distanz zwischen Wählern und politischen Repräsentanten, desto größer die Macht von Experten und desto größer die Gefahr des Einflusses versteckt agierender Vertreter von Partialinteressen (Lobbyismus).
• Gleiche Rechte für alle: Alle Menschen sollen gleichberechtigt den Schutz vor Willkür und den gleichberechtigten Zugang zu den Voraussetzungen ihrer persönlichen und beruflichen Entfaltung genießen. Nicht nur die Gleichheit vor dem Gesetz ist zu gewährleisten, sondern auch die Gleichheit der Lebenschancen. Welche Hindernisse stehen dem entgegen? Die Ungleichheit der Chancen ergibt sich aus der krassen Ungleichheit der Einkommen (materielle Hürden). Das betrifft vor allem Bildung und Ausbildung.
Welche Schritte führen zum Ziel? Jedem Menschen müssen die (vor-) schulischen Voraussetzungen geboten werden, dass die in ihm steckenden Potenziale (Fähigkeiten, Begabungen, Neigungen) zur Entfaltung kommen. Hierbei dürfen die Einkommensverhältnisse keine Rolle spielen. Nicht bestimmte schulische Abschlüsse (z.B. Abitur), sondern die Neigung und Eignung des Einzelnen sollen entscheidend dafür sein, welche praktischen, theoretischen, künstlerischen Tätigkeiten ihm in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft offen stehen.
• Freie Meinungsbildung: Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich hinreichend und korrekt zu informieren, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Die Demokratie als die einzige Staatsform, die der Würde des Menschen gerecht werden kann, lebt vom politischen Interesse und vom Engagement ihrer Bürger. Ohne freie Meinungsbildung und ohne offene Debatten ist Demokratie nur eine Farce. Welche Hindernisse stehen dem entgegen? Die privaten Medien sind zurzeit dem Gesetz der Gewinnmaximierung unterworfen. Die Eigentümer (Anteilseigner) der Medien haben ein Interesse daran, dass ihr eingesetztes Kapital die höchste Rendite erzielt. Sie sind nicht vorwiegend an Kriterien des Anstandes, der Sorgfalt und Wahrheitstreue der Berichterstattung interessiert, sondern müssen in erster Linie darauf achten, dass sie die Kriterien für wirtschaftlichen Gewinn erfüllen: eine möglichst große Zahl verkaufter Exemplare und Anzeigen. Die öffentlichen Medien stehen unter dem (von bestimmten Interessengruppen erzeugten) Stress, sich in den Einschaltquoten mit den privaten Sendern messen zu müssen. Ohne korrekte und umfassende Information ist der Bürger nicht in der Lage, seine Interessen wahrzunehmen und ist beliebiger Manipulation ausgesetzt. Eine hinreichende Vielfalt der Medien ist unverzichtbar, um Einseitigkeit in der Berichterstattung vermeiden zu können.
Welche Schritte führen zum Ziel? Es müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich jeder Bürger hinreichend informieren kann, um sich eine Meinung zu den ihn interessierenden Themen bilden und ein fundiertes Urteil fällen zu können. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist die Befreiung der Medien aus der privaten Verfügungsgewalt der Kapitalgeber. Das heißt erstens: Es muss unabhängige Gremien geben, die nach kulturellen und nicht wirtschaftlichen Kriterien die Berichterstattung der Medien bewerten und vergleichen. In diesem Rahmen ist ein sinnvoller Wettbewerb möglich. Zweitens: Die finanzielle Absicherung der Medien soll aus Verkaufserlösen und aus öffentlichen Mitteln (Spenden, Stiftungen) erfolgen. Die Existenz anspruchsvoller Medien darf jedenfalls nicht vom freien Markt (von mächtigen Geldgebern) abhängen. Drittens: die bestehende Konzentration im Bereich der Medien ist zugunsten einer hinreichenden Vielfalt des Angebots zu korrigieren.
• Friedliches Zusammenleben: Alle Menschen sollen in Frieden miteinander leben, also ihre unvermeidbaren Konflikte mit friedlichen Mitteln austragen. Kriege zwischen Staaten, die aus wirtschaftlichen und machtstrategischen Gründen geführt werden, sind weltweit zu ächten, ebenso militante Gewalt im Rahmen von Bürgerkriegen. Welche Hindernisse stehen dem entgegen? Die Großmächte streben nach Vormacht, um ihrer Wirtschaft Vorteile zu verschaffen, indem ihren Unternehmen in den abhängigen Staaten Zugriff auf Bodenschätze verschafft und Absatzmärkte erobert werden. Sie scheuen nicht davor zurück, Kriege anzuzetteln. Widerstände gegen die Privatisierung von Bodenschätzen und gegen den erzwungenen Freihandel werden militärisch (durch eigene Truppen und/oder durch willige Diktatoren und ihre Cliquen) gebrochen.
Welche Schritte führen zum Ziel? Grundlegend: Die Staaten müssen ihre Entscheidungsmacht über Krieg und Frieden abgeben an eine global anerkannte Institution (wie die UNO), die von keiner Großmacht abhängig sein darf. Alle Staaten müssen ihr Militär vollständig abrüsten. Erstens: Die UNO muss in die Lage versetzt werden, durch humanitäre Intervention Großverbrechen wie Völkermord und Massenmorde zu verhindern. Schritte zur Vermeidung bzw. friedlichen Beilegung von militant ausgetragenen Streitfällen zwischen Staaten sind nach international gültigen Standards zu entscheiden und (unter Umständen militärisch oder polizeilich) durchzusetzen. Zweitens: Staaten, die sich der UNO und dem internationalen Strafgerichtshof nicht unterordnen, sind international zu ächten. Die Verantwortlichen für zwischenstaatliche Kriege und Bürgerkriege sind vor einen internationalen Gerichtshof zu stellen und zu bestrafen. Institutionen und Strategien der friedlichen Konfliktbereinigung sind auszubauen bzw. zu fördern.
• Verantwortung für zukünftige Generationen: Unser Umgang mit natürlichen Ressourcen muss ihre dauerhafte Nutzbarkeit gewährleisten. Der Klimawandel ist aufzuhalten. Welche Hindernisse stehen dem entgegen? Der verschwenderische und zu Lasten der Umwelt gehende Konsum wird durch falsche Anreize des Käuferverhaltens angeheizt – durch Werbung, die ein wirtschaftskonformes (verzerrtes) Menschenbild vermittelt. Bedürfnisse nach Statussymbolen werden geweckt, die den Wert des Menschen an Eigenschaften festmacht, die wirtschaftlich verwertbar sind.
Welche Schritte führen zum Ziel? Erstens: Die Nutzung erneuerbarer Energiequellen (Sonne, Wind, Erdwärme) ist hinreichend zu fördern, um weltweit unabhängig zu werden von fossilen und atomaren Energiequellen. Zweitens: Der Schutz der Natur (Boden, Wasser, Luft, Klima, Biologische Vielfalt, Landschaftsbild) vor Überbauung, Schadstoffanreicherung und monotoner Landnutzung muss gegen wirtschaftliche Interessen durchgesetzt werden. Drittens: Das Bildungssystem ist so zu verändern, dass es die Erziehung zur Verantwortlichkeit in den Vordergrund rückt. Das Wissen um die Eingebundenheit des Individuums in die Gemeinschaft, das Gespür für die Gefährdung unserer Demokratie durch Machtkonzentration und die Sensibilität für die Gefährdungen unseres Planeten müssen einen besonderen Stellenwert erhalten. Politisches Desinteresse und passive Konsumentenhaltung sollen überwunden werden. Viertens: Kampagnen sollen durchgeführt werden, die eine Fixierung auf materielle Erfolgskriterien überwinden. Ein Lebensstil, in dem immaterielle Werte wie gelingende Kommunikation, Mitgefühl, soziales Engagement eine größere Rolle spielen, ist ein Gewinn an Lebensqualität. Dazu gehört auch das Erleben einer vielfältigen Natur als Raum für Erholung, Ruhe und Entspannung.
Nachbemerkung:
Das berühmte Gebet einer Nonne geht sinngemäß so: „Gib mir Mut und Kraft, ungerechte Verhältnisse zu verändern, gib mir die Gelassenheit, hinzunehmen was ich (zur Zeit noch) nicht ändern kann, und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Ich füge hinzu: es bracht auch einen langen Atem und Geduld, die vielen kleinen Pflänzchen zu achten und zu pflegen – also die Ansätze weiterzuentwickeln, die es bereits im Sinne der von mir skizzierten (nicht besonders originellen, aber deshalb nicht weniger wichtigen) Utopie gibt.
Bei der Umsetzung dieser groben Zukunftsvorstellung steckt natürlich der Teufel im Detail. Es bedarf vieler Debatten und vieler kleiner Schritte – nach dem Muster „Versuch und Irrtum“ – um im Einzelfall das rechte Maß zu finden und ein funktionierendes Gleichgewicht zwischen Freiheit und Ordnung (Regeln) zu finden. Aber das lässt sich leichter machen, wenn wir uns klar sind über die Richtung, in die wir uns bewegen wollen. In dieser Orientierung und in der daraus erwachsenden Motivation, sich politisch einzumischen, liegt der Sinn konkreter Utopien.
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